REWI: Ihren beruflichen Weg…
Paul Gragl: … sieht man ganz besonders an den Wegen zwischen und Stationen in meinen beiden Lieblings- und Weltstädten Graz und London: Ich habe in Graz zunächst Jus und Philosophie studiert bzw. dann als Assistent am Institut für Völkerrecht mein Doktorat in Rechtswissenschaften absolviert. Danach ging es 2012 zunächst als Research Fellow an die City University London, ein Jahr später bereits an die renommierte Queen Mary, University of London als Lecturer in einer Tenure-Track-Position. Gastprofessuren am Institut für Europarecht und Institut für Völkerrecht sowie die Habilitation (die es in dieser Form im Vereinigten Königreich nicht gibt) haben mich dann immer wieder nach Graz gezogen. Und jetzt bin ich nach fast neun Jahren in England wirklich wieder zuhause angekommen.
REWI: Mit der REWI Graz verbinden Sie?
Paul Gragl: Wunderbare und sowohl persönlich als auch wissenschaftlich prägende Studienjahre, viele neue und erneuerte alte Freundschaften und schließlich den Start in meine akademische Karriere.
REWI: Europarecht – Liebe auf den ersten Blick?
Paul Gragl: Auf jeden Fall und das bereits vor der Universitätszeit. Ich erinnere mich, dass mich alles Internationale bereits sehr früh fasziniert hat; vor allem als Kind haben mich Landkarten stundenlang fesseln können. Die europäische Einigung im Besonderen und internationale Zusammenarbeit im Allgemeinen haben mich dann letztlich nicht mehr losgelassen, als ich 1999 (ja, das war wirklich schon im letzten Jahrtausend!) bei einem Schüler_innenprojekt in Straßburg teilgenommen habe und zum ersten Mal so richtig Fremdsprachen bei Diskussionen zur Zukunft Europas ausprobieren durfte. Heute bin ich deswegen umso mehr davon überzeugt, dass das europäische Friedensprojekt einzigartig und beispiellos ist und wir ständig daran arbeiten müssen, um es nicht wieder zu verlieren.
REWI: Den BREXIT vor Ort mitzuerleben, war…
Paul Gragl: Juristisch spannend, politisch und persönlich zutiefst deprimierend. Ich erinnere mich noch an die Tage vor dem Referendum, als mich Aktivist_innen vor der Uni ansprachen und mich zu einer „Remain“-Stimme bewegen wollten. Ich habe ihnen gesagt, dass ich auf jeden Fall für den Verbleib stimmen würde, wenn ich nur rechtlich dürfte. Da war soviel Ehrgeiz, das Vereinigte Königreich in der EU zu halten, und jetzt wird abrupt auseinandergerissen, was über Jahrzehnte mühsam zusammengewachsen ist. Die Uni in einem kosmopolitischen London war auf jeden Fall eine große „Remain“-Blase, weshalb ich in der kognitiv spannenden Situation war, keine wirklichen Austrittsverfechter_innen kennengelernt zu haben. Daher kann ich mich auch nur an ein Gespräch mit einem echten Brexiteer erinnern, der meinte, dass die EU am Untergang des großartigen British Empire schuld sei. Abgesehen von dieser historischen Ungenauigkeit konnte ich das Argument auch aus der Perspektive dieses Herren selbst nicht nachvollziehen, weil er pakistanischer Herkunft war. Man erlebt selten, dass der Kolonialismus von (ehemals) Betroffenen selbst verteidigt und gepriesen wird. Daran sieht man exemplarisch, was der Brexit mit der Wahrheit und den Köpfen der Menschen angestellt hat.
REWI: Da hakt’s bei der EU…
Paul Gragl: Diesen Unwahrheiten schnell und effektiv zu begegnen. Aber sobald so etwas in der Welt ist, fängt man es eben nur noch schwer ein. Das betrifft vor allem auch die komplexen Strukturen und Entscheidungsfindungsprozesse innerhalb der Union, die ich jetzt an sich nicht kritisieren möchte. Sie sind eben auch für uns Juristinnen und Juristen nur nach mühsamem Studium zu verstehen und deshalb ist schon klar, warum dies für nicht juristisch geschulte Personen umso schwieriger zu fassen ist. Was ich im Grunde sagen möchte: Letztlich werden viele Dinge durch die Mitgliedstaaten angestoßen (Stichwort: die berühmt-berüchtigte und mittlerweile aufgehobene Gurkenkrümmungsverordnung) und im Rat entschieden. Handelt es sich aber um eine unpopuläre Entscheidung oder kommt es daraufhin in einem Mitgliedstaat zu Problemen, wird oft schnell mit dem Finger auf die „böse EU“ und ihre „aufgeblähte Bürokratie“ gezeigt. Der aktuelle Impfstreit ist ein gutes Beispiel dafür.
REWI: Dadurch haben Sie am meisten gelernt…
Paul Gragl: In einem anderen Land in einer anderen Sprache zu unterrichten, zu forschen und zu leben. Diese Erfahrungen sind unbezahlbar.
REWI: Sie in drei # beschrieben...
Paul Gragl: #Kaffee #Bücher #umfangreiche Interessen (auch abseits der Rechtswissenschaften)
REWI: Wenn ich nur aufhören könnt'…
Paul Gragl: Kaffee, Bücher, umfangreiche Interessen :-)
REWI: Ihr letztes Event vor/erster nach Corona?
Paul Gragl: Da habe ich jetzt wirklich den Kalender bemühen müssen, weil das schon so lange her ist. Das letzte Event, das ich vor Corona besucht habe, waren die Science Busters im Jänner 2020; das erste danach ist noch nicht geplant, aber von einem Getränk mit Freunden in einer Bar bis zu einem Urlaub in Italien oder Griechenland kann da alles dabei sein (keine Events im strengeren Sinne, aber sie werden sich sicher wie Events anfühlen!).
REWI: Als REWI-Professor für Europarecht möchten Sie…
Paul Gragl: … meine in London gewonnenen Erfahrungen so gut wie möglich einbringen, den Studierenden die Bedeutung des Europarechts vermitteln, ihr Interesse daran zu wecken und zu erhalten, und schließlich auch mit meinen vielen Kolleginnen und Kollegen exzellente Forschung betreiben.